LiteraturLesung
Eine Frau von Annie Ernaux | Teil 4 von 4 Folgen
Im Jahr 1986, nur dreizehn Tage nach dem Verlust ihrer Mutter, verfasst Annie Ernaux ein kurzes und schmerzvolles Gedenken. Sie verleiht ihrer Mutter erneut Leben als Symbol einer Epoche und eines Umfelds, das auch sie geprägt hat.
Das Leben ihrer Mutter: um die Jahrhundertwende in der Normandie geboren, zunächst Arbeiterin, später Ladeninhaberin, Ehefrau und Mutter von zwei Kindern, stets lebensfroh und aufgeschlossen, bis Alzheimer sie körperlich und geistig zermürbt.
Das unvermeidliche Ende war der Tochter bewusst, doch die Realität des Todes bleibt schwer zu ertragen. Die Mutter rang stets darum, ihren sozialen Rang zu bewahren oder zu verbessern. Erst der Tochter gelingt es, diese Grenzen zu durchbrechen, was eine Kluft zwischen ihnen schafft. Ernaux blickt darauf mit einer Mischung aus Zärtlichkeit, Abscheu und Schuld zurück.
Zum Autor
Geboren 1940, nennt sich Annie Ernaux selbst eine »Ethnologin ihrer selbst«. Als eine der bedeutendsten Autorinnen der französischsprachigen Welt hat sie zwanzig Bücher veröffentlicht, die sowohl von Kritikern als auch vom Publikum hoch gelobt wurden. 2022 wird ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen. Das Nobelkomitee ehrt sie "für den Mut und die präzise Analyse, mit der sie die Ursprünge, Entfremdungen und kollektiven Einschränkungen der persönlichen Erinnerung aufdeckt."