Konzert des Münchener Kammerorchesters

"In meine Dunkelheit wagt sich kein Hirte. Meine Augen zeigen nicht den Weg wie die Sterne." Diese Zeilen stammen aus einem Gedicht der expressionistischen Dichterin Elke Lasker-Schüler – insgesamt 25 davon hat der Komponist Enno Poppe für seinen Liederzyklus "Augen" verarbeitet. Dieses Werk passt bestens zum Saisonmotto "Nachtwache" des Münchener Kammerorchesters. Poppe hat betont, dass er so viele Arten des Gesangs erforschen möchte, wie es Lieder gibt.

Eine herausragende Interpretin dieser Stücke war bereits bei der Uraufführung in Witten 2022 unter der Leitung von Bas Wiegers die Sopranistin Sarah Maria Sun, eine renommierte Vertreterin der Neuen Musik. Nun wird "Augen" zum ersten Mal beim Münchener Kammerorchester aufgeführt. Poppe hebt hervor, dass alles in diesem Werk mit Webern verbunden ist.

Beim Konzert am 12. Dezember folgte auf seine Miniaturen Anton Weberns Langsamer Satz von 1905, welcher zwischen Brahms-Tradition, Spätromantik und früher Moderne zu den Anfängen der Zweiten Wiener Schule übergeht. Folgerichtig präsentierten Wiegers und Sun am Ende eine Suite aus Alban Bergs unvollendeter Oper "Lulu", die in einer neuen Bearbeitung von Eberhard Kloke für Kammerorchester an diesem Abend uraufgeführt wurde. Im zentralen Lied der "Lulu" heißt es provokant: "Wenn die Menschen meinetwegen ihr Leben ließen, schmälert das nicht meinen Wert." Mit seinem Auftaktstück nahm Wiegers das Motto "Nachtwache" des MKO wörtlich, denn in der Ciacona von Heinrich Ignaz Franz Bibers Serenade "Der Nachtwächter" wird das traditionelle Lied des Nachtwächters gesungen, das auch in den "Meistersingern" von Wagner erklingt: "Vernehmt, ihr Herren, und lasst es euch kundtun ..."