Ist die Menschheit auf dem richtigen, oder wenigstens auf einem guten Weg? Wird alles im wesentlichen immer besser? Oder das Gegenteil: sind wir gerade dabei uns systematisch zu zerstören?
Diese Frage schließt einerseits unmittelbar an unsere Episode über Fakten, Daten und Wissenschaft an. Eigentlich sollte sie also einfach zu beantworten sein. Es stellt sich heraus: es ist alles gar nicht so einfach und es gibt lautstarke unterschiedlichen Lager.
Wir werden erkennen, dass, selbst wenn alle Seiten in einer Diskussion sich tatsächlich auf Fakten berufen, der Schluss, der daraus gezogen werden kann, in vielen Fällen alles andere als trivial ist.
»Keine Lüge, die etwas auf sich hält, enthält Unwahres. Was letztlich präpariert wird, ist vielmehr das Weltbild als Ganzes […] Dieses Ganze ist dann weniger wahr, als die Summe der Wahrheiten seiner Teile […] Die Aufgabe derer, die uns das Weltbild liefern, besteht also darin, aus vielen Wahrheiten ein Ganzes für uns zusammenzulügen.«, Günther Anders
Lassen wir den Begriff der »Lüge« weg und transformieren wir das Zitat zu: selbst wenn alle Fakten in einer Argumentationskette korrekt sind, kann die Summe, das Ganze irreführend oder gar falsch sein. Und dies muss nicht notwendigerweise aus bösem Willen geschehen.
Die Frage, die wir an den Anfang gestellt haben, hat aber eine zweite wichtige Komponente: Narrative.
»Menschen sind die Produkte der Geschichten, die sie über sich selbst erzählen, die ihre Gemeinschaft über sich erzählt. Fakten spielen dabei höchstens eine untergeordnete Rolle.«, Philipp Blom
»Bewegungen, welche die Welt zu verändern suchen, beginnen oft damit, dass sie die Geschichte umschreiben und die Menschen damit in die Lage versetzen, sich die Zukunft neu auszumalen.«, Yuval Noah Harari
Ich denke nicht, dass Fakten in der öffentlichen Diskussion nutzlos oder wirkungslos sind, sie haben nur nicht die Wirkung, wie es sich manche wünschen würden – und das durchaus auch aus guten Gründen, wie wir sehen werden.
Es ist daher von großer Bedeutung für gesellschaftlich zentrale Fragen nicht nur die Daten und Fakten kritisch zu hinterfragen, sondern dann auch deren Interpretation und Deutung konstruktiv zu diskutieren. Allzu leicht fällt man hier in zu einfache ideologische Raster.
In den beiden Teilen dieser Episode werden wir uns etwas genauer mit den Argumenten »beider Seiten« auseinandersetzen. Denn es erscheint mir wichtig, diesen intellektuellen Konflikt einmal durchzuspielen, da wir einige Prinzipien typischer Probleme des 21. Jahrhunderts erkennen können.
Außerdem sind diese Aspekte sind eine wesentliche Motivation für diesen Podcast. Ein paar Thesen, die in späteren Episoden vertieft werden, können vorweggenommen werden:
Ohne Wissenschaft und Technologie kann es keine Zukunft für 9-11 Milliarden Menschen geben.
Wir haben natürliche Ressourcen weit überstrapaziert und müssen hier dramatisch gegensteuern
Auch die menschlichen Systeme haben eine Komplexität erreicht, die wir teilweise nicht mehr im Griff haben. (Komplexität ist nicht dasselbe wie Kompliziertheit – was ist der Unterschied?)
Die Kernfrage der nächsten Jahrzehnte wird also wahrscheinlich lauten: Wie können wir die wesentlichen ökologischen wie gesellschaftlichen Systeme gesund halten wesentlich mehr Resilienz ins System bringen und dabei die Fortschritte, die die Menschheit unbestritten erreicht hat nicht zu einem Einsturz bringen.
Dies ist eine gewaltige Herausforderung.
Ich hoffe, ich werde in diesem Podcast einige Anregungen zum Weiterdenken und eine Brücke für zukünftige Episoden liefern können.
Referenzen
Hans Rosling, Factfulness
Steven Pinker, Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit
Gregg Easterbrook, It's Better Than It Looks: Reasons for Optimism in an Age of Fear
George Monbiot, Out of the Wreckage
Philipp Blom, Was auf dem Spiel steht
Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen (Teil 1 und Teil 2)
Kate Raworth, Doughnut Economics
Johan Rockström et al, Planetary Boundaries (e.g. Nature: A safe operating space for humanity)
Big World Small Planet, Johan Rockström, Matthias Klum
Johan Rockström, TED Talk: Let the environment guide our development
Yuval Noah Harari, Homo Deus
Yuval Noah Harari, 21 Lessons for the 21st Century
Michael Specter, Denialism
Jared Diamond, Kollaps
Norman Borlaug, Nobelpreise Acceptance Speech
Jeffrey D. Sachs, Kommentar: Es ist nicht genug, einfach mehr Nahrung zu produzieren, Spektrum der Wissenschaft, 11.01.2010
Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
Robert B. Reich, Rettet den Kapitalismus
Tim Jackson, Prosperity without Growth