In seinem neuen Erzählband «Hotel der Schlaflosen» legt der deutsche Autor Ralf Rothmann packende Wirklichkeitsausschnitte vor. Leitschnur der elf Erzählungen ist die Angst, die die Figuren in unterschiedlichsten Konstellationen, zu unterschiedlichsten Zeiten und an unterschiedlichsten Orten trifft.
Manchmal kommt die Angst auf leisen Pfoten daher, als unbestimmt bohrende Seelenpein, wenn etwa eine Frau in der fast leergeräumten Wohnung Notizen ihres Mannes liest und durch einen Anruf aufgeschreckt wird. Wo der Mann ist, und warum die Frau später selbst jemanden anruft, anonym, ohne etwas zu sagen, erfährt man nicht. Aber es liegt der Kummer eines verpassten Lebens über «Alle Julias!» und die Angst vor dem, was noch kommen möge.
Diffus und gleichzeitig sehr real ist die Angst auch in der Titelgeschichte «Hotel der Schlaflosen». Sie fokussiert auf eine Episode in der Sowjetunion, 1940, zu Zeiten der stalinistischen Säuberungen. Im Moskauer Butyrka-Gefängnis ist es zu eng geworden, die geheimen Exekutionen finden nun in einem Hotel statt – angeleitet von Wasili Blochin, einem eiskalten Massenmörder und kultivierten Sadisten. Bevor Blochin den grossen Schriftsteller Isaak Babel erschiesst, quält er ihn seelenruhig wie die Katze die Maus. Auch in dieser Erzählung scheint hinter der Angst die Frage auf, was es mit der Wirklichkeit auf sich habe und ob die Wahrheit - wie die Würde des Menschen - letztlich nicht doch unantastbar sei.
Mit Ralf Rothmann spricht Franziska Hirsbrunner.
Buchhinweis:
Ralf Rothmann. Hotel der Schlaflosen. Suhrkamp Verlag, 2020.