Die Eltern kommen aus Serbien und haben in Wien ein besseres Leben gesucht, die Kinder finden keine Heimat, weder in sich selbst noch in der Welt. Sandra Gugic erzählt in «Zorn und Stille» packend von unscheinbarer, aber umso quälenderer Entfremdung.
«Zorn und Stille» ist der zweite Roman der 1976 in Wien geborenen und in Berlin lebenden Autorin. Der Titel wiederspiegelt die Dynamik des Buches – der heftige Wunsch nach Selbstbestimmung und die lastende Unmöglichkeit, ihn zu verwirklichen. Während die Eltern ihre Bedürfnisse hintanstellen, um ihren Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen, brechen diese aus, ohne Boden unter die Füsse zu bekommen.
Die Tochter verlässt die Familie noch als Schülerin, in einer Zeit, als die Jugoslawienkriege die Verhältnisse zuhause zusätzlich zerrütten. Sie wird eine gefeierte Fotografin, aber bleibt auch in ihren Beziehungen heimatlos. Der Sohn ist durch den Kontaktabbruch so verstört wie die Eltern. Er verliert den Halt und verschwindet später spurlos auf einer Reise durch Serbien. Ein Satz aus einem Interview seiner Schwester begleitete ihn: «Es gibt einen Raum, in dem niemand im Besitz der Wahrheit ist und jeder das Recht hat, verstanden zu werden.»
Mit Sandra Gugic spricht Franziska Hirsbrunner.
Sandra Gugic. Zorn und Stille. Hoffmann und Campe Verlag, 2020.