Nur die Hälfte aller angezeigten Sexualstraftaten landet vor Gericht,
viele Betroffene wenden sich gar nicht erst an die Polizei. Etwa aus
Scham oder Angst davor, was danach passieren könnte. Die
Traumatherapeutin Ingrid Wild-Lüffe und die ehemalige Staatsanwältin
Kirsten Böök beraten Polizei und Justiz: Was braucht es für sensible
Vernehmungen, wie beeinflusst das Erlebte die Aussage und das Verhalten
der Betroffenen – und wie schützt man sie davor, erneut traumatisiert zu
werden?
"Betroffene müssen wissen: Anzeigen haben Risiken und Nebenwirkungen",
sagt Wild-Lüffe. Eine gute Vorbereitung sei wichtig, sagt auch Böök. Die
Staatsanwaltschaft sei verpflichtet, ein faires Verfahren zu
ermöglichen. Über allem stehe dabei die Unschuldsvermutung des
Angeklagten, der auch fälschlich beschuldigt worden sein könne. Damit
das Gericht Schuld oder Unschuld feststellen kann, brauche es
stichhaltige Beweise, detaillierte Aussagen und die Unterstützung aller
Beteiligten. Und das kann im Zweifel lange Zeit dauern und für
mutmaßliche Opfer und Täter schwer belastend sein. Im Gespräch mit den
Sexpodcasthost Melanie Büttner und Sven Stockrahm erklären sie, was es
für ein Strafverfahren braucht und wann es Betroffenen zu viel werden
kann.
Mehr zu unseren Gästinnen und weitere Infos
- Ingrid Wild-Lüffe ist psychologische Psychotherapeutin. Sie arbeitet
seit mehr als 40 Jahren mit Opfern schwerer Gewalttaten und ist
Mitgründerin des Vereins Trauma Hilfe Zentrum München.
- Kirsten Böök ist ehemalige Staatsanwältin. Aktuell ist sie im
niedersächsischen Justizministerium für die Organisation und
Umsetzung des Opferschutzes in Niedersachsen zuständig.
- Im Oktober 2024 erscheint die dritte überarbeitete Auflage des
Fachbuchs Trauma und Justiz – Juristische Grundlagen für
Psychotherapeuten – psychotherapeutische Grundlagen für Juristen von
Kirsten Böök und Ulrich Sachsse.
- Im Podcast erwähnt Kirsten Böök Daten zu den Motiven von Opfern von
Sexualdelikten, die nicht anzuzeigen. Dabei handelt es sich um eine
Sonderauswertung des Landeskriminalamtes Niedersachsen, die nicht
veröffentlicht wurde. Die erwähnte Dunkelfeldstudie ist über das LKA
abrufbar.
- Die Zahlen zu den Einstellungen von Verfahren und der Anzahl der
Anklagen ergeben sich aus den Daten des Statistischen Bundesamtes.
- In Deutschland nahmen Polizeidienststellen insgesamt 12.186 Anzeigen
auf, in denen Menschen – vor allem Frauen – angaben, vergewaltigt
oder zu sexuellen Handlungen gezwungen und genötigt worden zu sein,
mit Androhung und tatsächlicher psychischer und körperlicher Gewalt.
- Viele Vergewaltigungen kommen nie vor Gericht. Direkt nach einem
Übergriff gibt es aber Dinge, die Betroffene oder deren Freunde tun
sollten, um später Beweise zu haben. Mehr dazu im
ZEIT-ONLINE-Artikel: Wie man die Chancen erhöht, einen Vergewaltiger
zu überführen
Welche Stellen beraten bei sexualisierter Gewalt?
- Das bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen ist Tag und Nacht
unter der Nummer 116 016 erreichbar – kostenlos und auf Wunsch
anonym. Über die Internetseite können sich Betroffene zudem online
per E-Mail oder Chat beraten lassen.
- Weitere Anlaufstellen per Telefon, Mail oder persönlich sind das
Hilfetelefon Sexueller Missbrauch, das Opfertelefon Weißer Ring oder
die Lara Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen (Berlin).
Für Männer gibt es das Hilfetelefon Gewalt an Männern. Mit dem
Beratungsstellenfinder bbf Frauen gegen Gewalt können Betroffene in
einer Suchmaske Hilfe am Ort finden.
- Je nach Region gibt es lokale Frauenhäuser und Beratungszentren.
Eine Übersicht gibt die Frauenhaus Koordinierung.
Wo kann man nach einer Vergewaltigung Spuren sichern lassen?
- Gewaltschutzambulanzen sichern Spuren kostenlos, vertraulich,
anonym. Manchmal heißen sie auch Opferhilfeambulanz oder ähnlich.
Auch manche Krankenhäuser, Frauenarztpraxen oder der Rettungsdienst
bieten Spurensicherung an. Fragt am besten per Telefon nach.
- Hier findet ihr die Homepages der Gewaltschutzambulanz der Charité
Berlin und der Gewaltschutzambulanz Bremen. Mehr Informationen zur
ärztlichen Versorgung nach Vergewaltigungen bieten die Frauenärzte
im Netz.
- Hast du den Verdacht, dass dir jemand K.-o.-Tropfen verabreicht hat,
solltest du möglichst schnell eine Blut- oder Urinprobe zur
Untersuchung abgeben. Die Substanzen sind nach wenigen Stunden nicht
mehr nachweisbar. Beratungsstellen und Hilfetelefone geben Auskunft,
wo das möglich ist.
Was können Betroffene selbst tun?
- Ein Gedächtnisprotokoll mit Datum schreiben. Erinnerungen jeweils
mit dem aktuellen Datum hinzufügen
- Nachrichten mit Datum, Uhrzeit, Name und Kontext als rechtssichere
Screenshots speichern
- Getragene Unterwäsche, Kleidung und Hygieneartikel wie Tampons und
Binden aufbewahren. Ebenso Bettwäsche, Handtücher, die DNA-Spuren
aufweisen können
- Idealerweise vor der medizinischen Spurensicherung nicht duschen und
wenn möglich nicht zur Toilette gehen
Weitere Anlaufstellen
- Übersicht über die Opferschutzbeauftagten der Länder
- Internetseite des Opferbeauftragten des Landes Berlin
- Informationen der Polizei Berlin zu Sexualstraftaten
- Überblick, was vor einem anstehenden Gerichtstermin relevant ist
Alle Sexpodcastfolgen auch auf www.zeit.de/sexpodcast.
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willst
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Büttner und dem ZEIT-ONLINE-Ressortleiter Wissen, Sven Stockrahm, auf
Instagram unter @dr.melanie.buettner und @svensonst.
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