Spitzt sich die Lage weiter zu, stagnieren die Infektionszahlen oder gehen sie tatsächlich ein wenig zurück? Aktuell ist es schwierig, ein genaues Bild vom Infektionsgeschehen in Sachsen zu bekommen. Verlässliche Daten liefert jedoch ein Prognosesystem der Kliniken, das zumindest ein "Fahren auf Sicht" ermöglicht.
Im CoronaCast bei Sächsische.de erklärt Professor Jochen Schmitt vom Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung an der Uniklinik Dresden das an seinem Institut entwickelte Instrument - und was es für die kommenden 14 Tage vorhersagt.
Mit dem sogenannten "Dispense Tool", wie das Prognoseinstrument heißt, sei in Sachsen bei aller Dramatik der Pandemie ein großer Fortschritt in der Gesundheitsversorgung gelungen. Schmitt schildert, was ausschlaggebend für die Entwicklung jenes Instruments gewesen ist, das es heute ermöglicht, im gesamten Freistaat jedes einzelne Klinikbett hinsichtlich der erforderlichen Versorgungslage von Covid-Patienten im Voraus zu planen.
Das Prognosesystem gehe auf die Anfänge der Pandemie im März 2020 zurück. "Wir haben damals in anderen Ländern erschreckende Bilder gesehen. Patienten, die beatmet werden mussten, konnten einfach nicht versorgt werden." Schmitt sagt, es sei sofort klar gewesen, dass es ein regional übergreifendes System zur Steuerung von Patienten brauche, um lokale Überlastungen zu verhindern. Oder anders: Damit immer klar ist, wo noch ein Bett frei ist - und für wie lange.
Mit den Patientendaten, die alle sächsischen Kliniken in das Tool eingeben, könnten die drei Leitstellen, also die Uniklinik Dresden und Leipzig sowie das Klinikum Chemnitz, immer mit sieben bis 14 Tagen Vorlauf für ihre Cluster die notwendigen Kapazitäten einsehen.
"Seit September sehen wir in dem Tool sachsenweit ein exponentielles Wachstum", so Schmitt. Die Zahl der Patienten habe sich teils wochenweise verdoppelt. Aktuell sind an diesem Mittwoch 2.083 Betten auf Normalstationen mit Covid-Patienten belegt, 586 auf Intensivstationen. Die Belegung liegt jetzt weit jenseits der vormals als Vorwarn- bzw. Überlastungsstufe definierten Werte. Und sie werden weiter steigen, sagt Schmitt beim Blick auf die aktuelle Vorhersage.
"Bei den Intensivstationen benötigen wir rund 600 Betten in einer Woche und 690 in zwei." Die aktuelle Kapazität liegt derzeit bei 615 Betten. Bis Mitte Dezember, so Schmitt, müssten in den Kliniken jetzt 90 Intensivplätze geschaffen werden. Bei den Normalstationen sieht es ähnlich aus: "Wir haben berechnet, dass wir in einer Woche 2.250 und in zwei Wochen 2.520 Betten brauchen." Verfügbar sind, Stand heute: 2.347 Betten. Irgendwoher müssen nun also rund 200 Betten kommen.
"Es ist eine große Aufgabe, diese Betten jetzt frei zu kriegen und vor allem auch dafür Personal sowie Ärztinnen und Ärzten aus überwiegend fachfremden Bereichen auf die Covid-Versorgung umzustellen", so Schmitt. Dass bei dieser voll auf Corona ausgerichteten Versorgung die allgemeine Gesundheitsversorgung leide, sei unumgänglich. "Und es ist schwer, es Patienten, die lange auf Operationen gewartet haben, das jetzt zu erklären."
Damit sich an der Lage etwas nachhaltig ändern könne, hält Schmitt drastische Maßnahmen für unausweichlich. "Mindestens flächendeckend 2G und zusätzliches Testen", so der Wissenschaftler, könnten einen Effekt bringen. Eine Vorhersage, wie sich die Situation an den Kliniken bis Weihnachten oder Jahresende entwickelt, könne er nicht geben. "Aber es dürfte klar sein, dass wir das jetzt nicht exponentiell weiterlaufen lassen können."
Außerdem Themen des Podcastgesprächs:
- Wie nutzt Sachsens Regierung die Prognosen der TU Dresden?
- Wird das sächsische Prognosesystem bundesweit beispielhaft für Kliniken?
- Wie viele Patienten müssen noch aus Sachsen in andere Länder geflogen werden?
Das Podcast-Gespräch wurde über einen Videoanruf aufgezeichnet. Alle am Gespräch beteiligten Personen saßen ausreichend weit voneinander getrennt an verschiedenen Orten.